This post is also available in: English (Englisch)

Getreu dem Motto „Höher, schneller, weiter“ sind bei mir in den letzten Monaten meine „Feierabendrunden“ mit dem Velomobil länger und schneller geworden. Angefixt durch Tourenberichte und Videos von Events wie PBP (Paris-Brest-Paris) oder LEL (London – Edinburgh – London) hatte ich Blut geleckt und wollte selber mein erstes Brevet über 200km fahren.

Angemeldet hatte ich mich bereits im April für die Prüfung im September; allerdings war wegen Corona stets unklar, ob es stattfinden kann.

Brevet? Randonneur? Was verbirgt sich dahinter?

Der Begriff Brevet (franz. für „Prüfung“) wird mindestens seit 1921 im Zusammenhang mit Langstreckenfahrten verwendet, die nach dem Reglement des Audax Club Parisien ausgerichtet werden. Er bezeichnet eine „Kilometerprüfung“, auf der ein Radfahrer zeigt, dass er eine vorgegebene Strecke aus eigenen Kräften innerhalb eines festgelegten Zeitraums ohne fremde Hilfe zurücklegen kann.

Trotz des sportlichen Charakters sind Brevets ausdrücklich keine Rennen! Die meisten Teilnehmer wollen lediglich die Strecke innerhalb des Zeitlimits schaffen, sie legen keinen Wert auf schnelle Zeiten. Viele Fahrer nutzen Brevets auch, um sich während der Fahrt und der Pausen mit Gleichgesinnten zu unterhalten. Oder anders formuliert: Hier geht es um das Miteinander und nicht um Konkurrenz!

Die Königsveranstaltung ist die 1.230 km lange Radfahrt Paris–Brest–Paris (PBP), die der Audax Club Parisien alle vier Jahre jeweils im August organisiert, zuletzt 2019. Die Besonderheit dieses Brevets ergibt sich aus der Atmosphäre, die durch über 6.000 Teilnehmer entsteht. Zudem bieten die Anwohner der Strecke den Teilnehmern rund um die Uhr Unterstützung in Form von Speisen und Getränken und die Strecke ist vollständig ausgeschildert. An vielen Kontrollstellen werden Mahlzeiten und Fahrrad-Ersatzteile verkauft, es gibt Duschen und einfache Schlafmöglichkeiten. Zur Qualifikation muss man im selben Kalenderjahr wie PBP Brevets mit 200, 300, 400 und 600 km absolviert haben.

Warum macht man so etwas?

Natürlich haben Freunde und Kollegen von meinem Vorhaben gehört und regelmäßig kam die Frage: "Warum machst Du sowas?" oder "Wieso möchte man Hunderte von Kilometern am Stück Radfahren?" oder "Ist das nicht total öde?"

Vermutlich weil Radfahren meine Leidenschaft ist, weil "ich es kann", weil ich mir selber etwas beweisen möchte und weil ich den Ehrgeiz habe, eine solche Distanz mit eigener kraft zu bewältigen. Als Nicht-Sportler wird man das sowieso nicht verstehen! Damit kann ich leben 😉

Vorbereitung 

Da gibt's eigentlich nicht viel zu berichten, außer dass ich mich schon im Frühjahr für dieses Event im September angemeldet hatte. Ich versuche mich generell durch Radfahren und Laufen fit zu halten, aber ansonsten gibt es kein besonderes Training zur  Vorbereitung. Seit ein paar Wochen achte ich mehr auf meine Ernährung und habe dem "Corona-Speck" den Kampf angesagt; aber das war ohnehin fällig.

Mein Velomobil hatte ich natürlich durchgecheckt; mehr aber auch nicht. So groß ist der Strecken unterschied zwischen meinen normalen Touren (zwischen 70 und 100km) und dem "kleinen Brevet" mit seinen 200km ja nicht. Ein wenig mehr an Proviant hatte ich dabei ... alles Weitere kann man zur Not unterwegs kaufen.

Natürlich hatte ich schon ein paar Erfahrungsberichte gelesen, aber es soll ja eine Tour und kein Rennen werden. Ich hatte deshalb geplant, es ruhig angehen zu lassen, mein eigenes Tempo zu fahren und jede Gelegenheit zum Plausch mit anderen Radfahrern zu nutzen.

ARA-Niederrhein: 200km-Brevet Twisteden 

Die Informationen zum Event und zur Strecke gab es eine Woche zuvor per Mail; Moni und Michael hatten alles perfekt organisiert. Gestartet wurde um 9:00 und da ich in der Woche nicht viel geschlafen hatte, verzichtete ich auf die Anreise per Velomobil und nahm stattdessen den Anhänger.

Am Start traf ich schon auf die ersten VM-Fahrer; aber erstmal anmelden und Brevet-Karte abholen! Danach Kaffee, Kuchen etc. im Vereinsheim und die obligatorische Ansprache vom Veranstalter. Die ca. 130 Teilnehmer wurden in 4 Startgruppen eingeteilt; gemeinsam mit ca. 10 "liegenden" Fahrern startete ich in der letzten Gruppe.

Zur Strecke: Von Twisteden ging westlich in Richtung Herzogenbosch bis nach Herpt. Dort war die Kontrolle in einem Café; danach ohne Umwege wieder zurück nach Twisteden ... macht ca. 200km.

Los geht´s

Am Start gab es direkt ein fettes Problem: Mein Navi wollte nicht ... "unerwarteter Fehler". Daran änderten auch zahlreiche Resets nichts. Die anderen Velomobile waren schon auf und davon ... also erstmal an andere Fahrer drangehängt und weiter versuchen das Navi zu starten. Nach ca. 30 Kilometern hab ich es dann aufgegeben ... schließlich wollte ich die Tour genießen und nicht mich die ganze Zeit ärgern. Von da ab habe ich dann per Smartphone und Roadbook navigiert.

Landschaftlich sehr schön, dafür waren die Radwege innerorts eine Katastrophe; denn sie waren gepflastert, teilweise gar mit Kopfsteinpflaster. Aber da in den Niederlanden weder andere Autofahrer noch Polizei es dulden, wenn man auf der Straße fährt, musste ich dadurch. Außerdem gab es die ein oder andere Gravel-Passage. Ungeplant war auch der Markt am Samstag-Vormittag in zwei Innenstädten; deshalb entweder absteigen und schieben oder einen Umweg in Kauf nehmen.

Abgesehen von der Kontrolle im Café in Herpt, wo ich mir ein Stück Kuchen gegönnt habe, habe ich nur für eine Bio-Pause angehalten. unterwegs gab es die ein oder andere Gelegenheit, um mit anderen Fahrern zu quatschen. Nach etwas mehr als 8 Stunden brutto war ich wieder im Ziel.

Dort angekommen gab es noch die traditionelle Gulaschsuppe und nach der Rückgabe meiner Kontrollkarte ging es schon wieder nach Hause. Überraschenderweise ging es mir an den Tagen danach wirklich gut; ich hatte weder Muskelkater noch andere "Folgeschäden".

Was bleibt?

Es war definitiv für mich eine Premiere, an die ich mich gerne erinnern werde, auch wenn diese Veranstaltung für Außenstehende oder andere routinierte Teilnehmer nicht spektakulär war! Dass ich diese Strecke schaffe, war jetzt keine große Überraschung für mich. Aber das Radfahren gemeinsam mit anderen Teilnehmern und das Quatschen über belanglose Dinge vor, während und nach der Fahrt haben einfach Spaß gemacht. Ganz besonders nach diversen Lock-Downs und vielen ausgefallenen Veranstaltungen in den letzten Monaten!

Wir werden sehen ob ich im nächsten Jahr eine ganze Brevet-Serie schaffe; also 200, 300, 400 und 600 Kilometer in einer Saison. Und dann vielleicht in 2023 nach Paris!? Warum eigentlich nicht?